Menschen in Ausbildung und Studium treffen die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen zur Corona-Bekämpfung in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind die Auswirkungen im Hinblick auf ihren Ausbildungsverlauf und ggf. das Ausbildungsende zu minimieren und zum anderen können bestimmte Konstellationen die Existenzsicherung von Menschen in Studium und Ausbildung gefährden. Derzeit befinden sich 1,2 Mio. Menschen in einer beruflichen Ausbildung. Rund 2,3 Mio. Menschen sind an den deutschen Hochschulen als Studierende eingeschrieben, davon etwa 400.000 ausländische Studierende. Ihre erfolgreiche Ausbildung ist für die Gesellschaft von großer Bedeutung, denn beim Wiederanfahren der Volkswirtschaft werden sie gebraucht, um den deutlich sichtbaren Fachkräftebedarf zu bedienen. Nach Corona wird es erheblich veränderte Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt hinsichtlich der Digitalisierung geben.
Wir, die Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion, schlagen deshalb einen Aktionsplan für Menschen in Ausbildung und Studium vor mit dem Ziel, die Ausbildung angemessen und qualitätsgesichert zu Ende führen zu können und die laufenden Kosten für Wohnung und Lebensunterhalt auch unter den Vorzeichen der Corona- Krise weiter tragen zu können.
Studienbedingungen und Studienfinanzierung flexibel organisieren
Wegen der Kontaktbeschränkungen müssen die Hochschulen flexible Möglichkeiten schaffen, damit digitale gestützte Lehrangebote zur Verfügung stehen, der Zugang zu wichtiger Literatur gesichert ist und Prüfungstermine in einem für Studierende machbaren Zeitraum angeboten werden können. Ggf. sind auch zusätzliche Termine durch Hochschulen und Prüfungsämter einzurichten, zumal viele Prüfungen derzeit ausfallen. Den Studierenden darf durch die Kontaktsperren zur Corona-Bekämpfung kein Nachteil in ihrer Ausbildung entstehen.
- Für Studierende im BAföG-Bezug müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass durch Corona-bedingte Verzögerungen keine Förderlücken entstehen und Förderzeiträume ggf. vorübergehend ausgeweitet werden. Über die Schaffung flexibler Lösungen an Hochschulen zur Gestaltung des Sommersemesters 2020 durch digitale Lehr- und Prüfungsformate freuen wir uns. Diese Herausforderungen meistern insbesondere die Hochschullehrenden an vorderster Front. Ein abgestimmtes und einheitliches Verfahren der Länder im Umgang mit dem Sommersemester 2020 und weiteren damit zusammenhängenden Herausforderungen wäre begrüßenswert. Wir sind schon jetzt der Auffassung, dass dieses Semester so viele Herausforderungen für die Studierenden mit sich bringt, dass das Sommersemester 2020 nicht auf die Förderhöchstdauer im BAföG angerechnet werden sollte. Dies muss zeitnah entschieden werden, um den Studierenden Planungssicherheit zu geben.
- Wenn Prüfungen in der akuten Situation erst später abgelegt werden können, muss sich ebenfalls auch der BAföG-Bezug verlängern. Entsprechende Handlungsspielräume bietet das BAföG hierzu bereits jetzt. Das BMBF muss klarstellen, dass die BAföG-Ämter diesen Spielraum jetzt auch nutzen sollen.
- Die Begabtenförderwerke sollten ebenfalls in die Lage versetzt werden, auf veränderte Studienrahmenbedingungen bei der Dauer ihrer Förderung flexibel eingehen zu können. Die finanzielle und die ideelle Förderung der Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie die individuelle Betreuung müssen durch die Begabtenförderwerke weiterhin gewährleistet werden können. Wenn die Förderhöchstdauer des Studiums oder der Promotion aufgrund der pandemiebedingten und von den Geförderten nicht zu verantwortenden Umstände überschritten wird, fordern wir, die Begabtenförderwerke sowie die Mittlerorganisationen finanziell in die Lage dazu zu versetzen werden.
- Zudem sollte der Finanzierungsnachweis für internationale Studierende vorübergehend ausgesetzt werden, um den internationalen Studierenden auch die Existenzsicherung notfalls durch den Verbrauch der Rücklagen auf ihren Sperrkonten zu ermöglichen. Wenn die Studienhöchstdauer aufgrund der pandemiebedingten und von den Studierenden nicht zu verantwortenden Umstände überschritten wird, muss eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis möglich sein.
Einkommen erhalten – Existenz sichern
Insgesamt 68 Prozent aller Studierenden gingen nach der letzten Sozialerhebung des Deut- schen Studentenwerks einer Nebentätigkeit nach, um damit ihren Lebensunterhalt teilweise oder ganz zu finanzieren. Darunter sind auch solche, die ansonsten ihr Studium hauptsächlich oder teilweise durch Einnahmen aus Stipendien, BAföG oder Elternbeiträge finanzieren. 59 Prozent aller Befragten mit Nebenjob in der DSW-Sozialerhebung gaben an, dass sie auf die Einnahmen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen seien. Es ist davon auszugehen, dass ein hoher Anteil darunter einen oder zwei Mini- oder Midijobs ausführen. Darüber hinaus sind Studierende als WerkvertragsstudentInnen (max. 20 Stunden pro Woche außer in den Semesterferien) und sind auf Honorarbasis tätig. WerkstudentInnen sind abhängig Beschäftigte, also ArbeitnehmerInnen. Die Besonderheit ihres Arbeitsverhältnisses besteht je- doch darin, dass sie keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen müssen und daher auch nicht bezugsberechtigt für Arbeitslosengeld I oder II sind.
Es muss davon ausgegangen werden, dass gerade in diesen Bereichen infolge der heraufziehenden Wirtschaftskrise Jobs entfallen und damit auch die Einnahmequellen eines erheblichen Teils der Studierenden. Aus Sicht der SPD sollte dabei besonders Beachtung finden, dass der Anteil der Studierenden mit Nebenjobs unter den Studierenden der ersten Akademiker- Generation einer Familie besonders hoch ist.
Studierende, die dem Grunde nach BAföG-berechtigt sind, können derzeit weder auf Wohgeld noch auf Grundsicherung zugreifen, um ihre Existenz zu sichern, da sie nicht dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Hier gilt, dass zunächst die Unterhaltverpflichtung der Eltern oder BAföG greifen. Studierende, die dem Grunde nach nicht BAföG-berechtigt sind, haben hingegen vollständigen Zugang zu Wohngeld und SGB XII. Es gibt allerdings nach § 27 Abs. 3 SGB II die Möglichkeit ein Härtefalldarlehen zu gewähren. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, deren Auslegung aktuell jedoch von Jobcenter zu Jobcenter unter- schiedlich erfolgt. Hier wäre eine Klarstellung für eine einheitliche Verwaltungspraxis im Sinne der Studierenden hilfreich.
Diese Sicherung reicht unserer Sicht dennoch nicht aus, weil dies weder auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnitten ist, noch deren Problemen adäquat Rechnung trägt. Wir brauchen zielgenaue Instrumente für Studierende, denen in Folge der Corona-Krise die Nebentätigkeit weg bricht und damit ihre Existenzsicherung.
Bisher haben wir erreicht, dass niemand aufgrund einer Corona-bedingten Zahlungsunfähig- keit aus seinem Mietvertrag gekündigt werden darf. Hier gelten die längeren Berücksichtigungszeiträume von bis zu 6 Monaten.
Wir brauchen aber weitere Schritte, damit jeder und jede unabhängig von der Corona-Krise die Ausbildung zu Ende führen kann. Wir fordern daher:
- Studierende, die infolge der Corona-Krise ihre Nebentätigkeiten verlieren oder deren Eltern infolge der Corona-Krise nicht mehr zu ihrem Unterhalt herangezogen werden können, müssen einen schnellen, nicht an Stichtage gebundenen und stark vereinfachten Zugang zum BAföG bekommen. Ein Nachweis über entgangene Einkommen oder ein Antrag auf Kurzarbeit der Eltern muss unverzüglich zum BAföG- Bezug führen. Hiermit greifen wir die Logik des vereinfachten Zugangs zur Grundsicherung auf und übertragen sie angesichts der akuten Lage direkt ins BAföG. Dies muss sowohl für Aktualisierungsanträge bei zuvor abgelehnten Anträgen und Teilförderungen gelten als auch für Neu-Anträge.
- Studierende ohne BAföG-Bezug, die infolge der Corona-Krise Einkommenseinbrüche erleiden und Gefahr laufen, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können, müssen einen auf 6 Monate befristeten Zugang zum Wohngeld oder zur Wohnpauschale im BAföG bekommen. Dieser Zugang ist im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung als Zuschuss auszugestalten.
- Ein Härtefallfonds für alle die, die durchs Raster fallen, insbesondere internationale Studierende, kann darüber hinaus für eine überschaubare Anzahl von Studierenden ein hilfreicher Ausweg sein. Hieraus sollten die BAföG-Ämter Mittel zuweisen können, wenn keine anderen Sicherungsmechanismen zur Verfügung stehen.
- Für Studierende, die ihr Studium nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, ist das BAföG gemacht. Für diese wollen wir es jetzt auch schnell nutzbar machen, wenn die wirtschaftliche Lage in Deutschland durch die Covid19-Pandemie eingeschränkt ist. Die BAföG-Ämter sind der richtige Ort, weil sie nah an der Lebensrealität der Studierenden beraten können. Sie können Hilfen aus einer Hand durch vereinfachten BAföG-Zugang und Härtefallfonds anbieten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist aufgefordert, für das BAföG als Instrument in der Krise engagiert Partei zu ergreifen und keinen Zweifel zuzulassen, dass es so viele Menschen wie irgendwie möglich durch das BAföG in der Krise absichern will.
Anreize für Nebentätigkeiten in Bereichen gesellschaftlichen Bedarfs
Auf der einen Seite werden viele Gelegenheiten zum Nebenverdienst für Studierende zumindest für eine Zeit lang entfallen. Auf der anderen Seite entstehen neue Jobmöglichkeiten, z.T. in Bereichen des gesellschaftlichen Bedarfs wie Dienstleistungen durch Lieferungen, medizinische Dienstleistungen, in der Landwirtschaft oder im Lebensmitteleinzelhandel. Hier können Studierende in den kommenden Monaten eine gewünschte, teils sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden. Wir möchten Anreize schaffen, damit Studierende neue Beschäftigungen finden können. Dabei haben wir bisher erreicht, dass Studierenden mit BAföG-Bezug die Einkünfte aus Tätigkeiten in den medizinischen Dienstleistungen oder in der Erntehilfe, die über die Anrechnungsgrenzen im BAföG hinaus gehen, nur in den Monaten auf die BAföG- Leistungen angerechnet werden, in denen diese Einkünfte anfallen. Darüber hinaus bleibt der BAföG-Anspruch bestehen.
Als Anreize für die Aufnahme einer Beschäftigung in Bereichen des besonderen gesellschaftlichen Bedarfs schlagen wir darüber hinaus vor:
- Einkommen aus diesen Tätigkeiten sollen vorübergehend gar nicht auf die BAföG- Förderung angerechnet werden. Ebenso sollten diese Einkünfte nicht als Vermögen berechnet werden. Damit schaffen wir einen wirklichen Anreiz solche gerade jetzt sehr wichtigen Jobs anzunehmen.
- Auch bei einem temporären Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenzen in dieser Zeit sollten die Studierenden nicht ihren Versicherungsstatus in der Familienversicherung oder der studentischen Krankenversicherung verlieren.
Auch internationale Studierende brauchen jetzt finanzielle Unterstützung. Diese Gruppe ist in der Regel nicht BAföG-förderfähig, nur wenige bekommen ein Stipendium und für ihre Aufenthaltserlaubnis ist eine finanzielle Absicherung die Voraussetzung. Deshalb muss u.a. für sie ein eigener, befristeter Härtefallfonds geschaffen werden, der soziale Härten abfedert, den Studienabbruch verhindert und eine Perspektive bietet, nach der Pandemie ihr Studium in Deutschland abschließen zu können.
Berufliche Ausbildung erfolgreich abschließen – Schutzrechte von Auszubildenden erhalten
Die Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit durch Produktionsstopps, die Schließungen im Handel und weitverbreitete Kurzarbeit bedeuten auch Einschränkungen für die duale Ausbildung. Der betriebliche Teil der dualen Ausbildung findet in weiten Teilen nur unter großen Einschränkungen statt. Die Schließungen der Berufsschulen ziehen weitere Konsequenzen für den schulischen Teil der Ausbildung nach sich. Vollzeitschulische Ausbildungen sind direkt von den Schließungen betroffen. Bei andauernden Kontaktsperren sind Träger der dualen und vollzeitschulischen Ausbildung gefordert, digital gestützte Lehrangebote zu entwickeln und bereit zu stellen, um den qualitativ hochwertigen Fortgang der Ausbildung in einem machbaren Zeitraum zu gewährleisten. Der Digitalpakt Schule wurde für länderübergreifende Cloud-Lösungen geöffnet. Es ist wichtig, dass daran auch Berufsschulen partizipieren können.
In Betrieben mit Kurzarbeit müssen alle Anstrengungen unternommen werden, Ausbildungsplätze zu erhalten und erfolgreich zu Ende zu führen. Die SPD kämpft um jeden Ausbildungs- platz, denn das ist die beste Versicherung gegen den Fachkräftemangel, der nach der Krise schnell wieder sichtbar werden wird. Bis Kurzarbeitergeld für Auszubildende gezahlt wird, müssen alle im BBiG beschriebenen Maßnahmen ausgeschöpft sein. So lange haben Auszubildende laut BBiG einen sechswöchigen Anspruch auf ihre Ausbildungsvergütung. Dies schützt insbesondere die Auszubildenden, deren Vergütung unterhalb des Mindestlohns liegt. Eine Kürzung brächte sie in existentielle Schwierigkeiten. Die Existenzsicherung für Auszubildende ist darüber hinaus auch bei Kurzarbeitergeld zu gewährleisten, beispielsweise auch durch ergänzende Leistungen aus der Grundsicherung oder der Ausbildungsbeihilfe.
In zahlreichen Fällen waren Prüfungstermine bereits in den kommenden Wochen angesetzt. Unter den Bedingungen einer Kontaktsperre sind diese schwer durchführbar. Nachteile für Auszubildende sollen durch flexible Lösungen ausgeglichen werden, damit die Ausbildung noch vor dem Ablauf des Ausbildungsjahres erfolgreich abgeschlossen werden kann. Sollte dies nicht möglich sein, müssen die Auszubildenden rechtssicher ihre Ausbildung bis zur Prüfung verlängern können.
Für Personen, die ein duales Studium absolvieren, ergeben sich bei Kurzarbeit im Betrieb vergleichbare Probleme wie für Auszubildende, was die Fortführung der Ausbildung angeht. Zusätzlich stehen Sie vor der Frage, wie sich das Semester an ihrer Hochschule gestaltet. Auch für diese Gruppe gilt es in Bezug auf Dauer und Fristen der Ausbildung flexible Lösungen zu fin- den, die eine Fortführung der Ausbildung ermöglichen. Kündigungen von dual Studierenden aus betriebswirtschaftlichen Gründen sollen vermieden werden.
Nach jetzigem Stand konnten sich die Kammern und Sozialpartner bereits auf folgende Lösungen für Auszubildende verständigen: die Industrie- und Handelskammern haben die schriftlichen Abschlussprüfungen in den Sommer verschoben. Das ist ein gutes Beispiel, wie flexible Lösungen für die laufenden Prüfungen gefunden werden können. Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) hat ebenfalls die Empfehlung ausgesprochen, alle Prüfungstermine bis zum 24. April auszusetzen und ebenso wie die IHKen entsprechende Ersatztermine im Sommer nachzuholen, also zusätzlich anzubieten.
Darüber hinaus benötigen wir weitere Schritte, um Auszubildenden die erfolgreiche Fortführung ihre Ausbildung zu ermöglichen:
- Einrichtung überbetrieblicher, branchenbezogener Fonds für Auszubildende und dual Studierende, zur Sicherung von Ausbildungsplätzen bei Kurzarbeit. Verbundausbildungen oder die gegenseitige Übernahme von Azubis aus insolventen Unternehmen wären Lösungen, die zudem geprüft werden sollten.
- Aussetzung der Gebühren für vollzeitschulische Ausbildungen, wenn diese aufgrund von Schließungen nicht stattfinden können.
- Regelung zur flexiblen Verschiebung von Prüfungsterminen sind auch für vollzeitschulische Ausbildungen und dual Studierenden zu treffen. Nicht stattfindende Zwischenprüfungen in der dualen Ausbildung sollen so verschoben werden, dass die Ausbildung in einer machbaren Form fortgesetzt und zu Ende geführt werden kann. Mit Blick auf die aktuell ersatzlose Streichung von Zwischenprüfungen muss klar sein, dass dies keine Auswirkungen auf die Abschlussprüfung bzw. die Abschlussnote haben, demnach nicht zulassungsrelevant sein darf.
- Vereinfachter Zugang zur Ausbildungsbeihilfe oder Grundsicherung bei veränderten Einkommen.
- Zur weiteren Klärung von Fragen, die für die berufliche Ausbildung von besonderer Bedeutung in der Krise sind, müssen die relevanten Akteure an einen Tisch geholt werden. Wir fordern deshalb nachdrücklich die Aktivierung der Allianz für Aus- und Weiterbildung, um konkret Antworten auf offene Fragen zu finden. Insbesondere die Klärung der offenen Fragen zuo Zwischen- und Abschlussprüfungen
o Erhalt und Sicherstellung von Ausbildungsplätzen für das Ausbildungsjahr 2020
o Sicherstellung und Weiterführung der assistieren Ausbildung