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Meine Bundestagsrede zur Ganztagsbildung im Grundschulalter

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

im März dieses Jahres haben wir hier im Plenum das letzte Mal über Ganztagsbetreuung im Grundschulalter gesprochen. Seitdem ist bekannterweise viel passiert. Corona hat unser aller Leben verändert. Unser Vorhaben, allen Grundschulkindern eine gute Ganztagsbetreuung zu ermöglichen, ist dringlicher denn je. Deshalb begrüße ich es, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion heute dieses Thema mit ihrem Antrag auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Für viele ist der Lernort Schule gerade zu Beginn der Pandemie fast ersatzlos weggebrochen. Nicht alle hatten das Glück, zu Hause Vokabeln abgefragt zu werden und Antworten zu den Physikaufgaben zu bekommen. Nicht alle hatten das Glück, dass überhaupt jemand zu Hause war. Hier sind Lernrückstände entstanden, die schon unter normalen schulischen Bedingungen schwer aufzuholen sind. Das ist vor allem für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf ein riesiges Problem. Der Bedarf an einer guten ganztägigen Lernumwelt ist wahnsinnig groß. Ich bekomme ganz oft Zuschriften von Eltern aus meinem Wahlkreis dazu. Faire Chancen auf gute Bildung dürfen aber nichts mit Glück zu tun haben. Nicht der Geldbeutel der Eltern, die Herkunft oder der Wohnort dürfen ausschlaggebend dafür sein, welches Kind später einen guten Ausbildungsplatz bekommt und studiert und welches eben prekär beschäftigt ist. Es ist unser aller Aufgabe, Strukturen zu schaffen, die allen Kindern von Beginn an die gleichen Chancen eröffnen. Der Rechtsanspruch auf eine gute Ganztagsbetreuung für jedes Kind im Grundschulalter muss kommen. Da sind wir uns hoffentlich alle, bis auf die eine Fraktion, sehr einig.

Für mich als Bildungspolitikerin und ausgebildete Lehrerin ist natürlich klar: Es geht nicht darum, Kinder acht Stunden lang Unterrichtsstoff pauken zu lassen. Es geht darum, Kindern Raum zur individuellen Entwicklung zu geben. Neben der schulischen Bildung muss es auch Möglichkeiten geben, ein Musikinstrument auszuprobieren oder eine neue Sportart auszuüben. Dafür müssen Schulen, Horte, Kinder- und Jugendhilfe, Sport- und Musikvereine auf Augenhöhe und gut miteinander arbeiten können.

Natürlich müssen unsere Ganztagsschulen auch gut digital aufgestellt sein. Gerade bei den Grundschulen sehen wir hier noch großen Nachholbedarf. Wir haben hier in den letzten Monaten einige Maßnahmen gemeinsam auf den Weg gebracht, um unsere Schulen besser und vor allem schneller digital auszustatten. Als Lehrerin, die jahrelang an einer integrierten Gesamtschule unterrichtet hat, liegt mir dabei eine Maßnahme besonders am Herzen: die Unterstützung der Lehrkräfte bei Wartung und Einsatz der IT. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus weiß ich, wie sehr sich Lehrkräfte hierbei Unterstützung wünschen. Nicht dass sie selber nicht in der Lage wären, das zu tun. Aber in der Praxis fehlt schlicht die Zeit dafür. Technische Ausstattung, Datenschutz, Entwicklung digitaler Unterrichtsmaterialien und deren pädagogisch wertvoller Einsatz – all das lässt sich nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln, gerade nicht an unseren Grundschulen. Deshalb haben wir vom Bund mit dem Konjunkturpaket dafür gesorgt, dass zusätzlich 500 Millionen Euro in die Hand genommen werden. Bund und Länder beraten gerade noch die Details. Für uns als SPD steht fest: Es darf nicht nur um administrative Fragen gehen. Wir wollen an jeder Schule Bildungstechnologen haben, die sowohl bei technischen als auch bei medienpädagogischen Fragen helfen können.

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine gute Ganztagsbetreuung schafft nicht nur gerechtere Chancen für alle Kinder. Mit ihr schaffen wir auch ein Angebot für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nicht alle wollen Teilzeit arbeiten, um halbtags ihr Kind zu betreuen. Nicht alle können Teilzeit arbeiten und am Ende des Monats noch die Rechnungen bezahlen. Insbesondere Alleinerziehende – das ist mir persönlich ganz, ganz wichtig – sind auf eine gute Betreuungssituation angewiesen.

Die Zahlen sprechen für sich: Über 70 Prozent der Eltern wünschen sich ein ganztägiges Betreuungsangebot für ihre Kinder; aber nur etwa die Hälfte, etwa 50 Prozent, finden einen Platz. Diese Lücke müssen wir schließen. Der Arbeitsmarkt benötigt die Fachkräfte; gleichzeitig machen wir einen großen Schritt hin zu mehr Gleichstellung. Denn Corona hat ja leider eine Sache deutlich gezeigt: Es sind am Ende wieder die Frauen, die beruflich zurückstecken und die Betreuung übernehmen. Die Lohn- und Rentenlücke gibt es dann perspektivisch gleich mit auf den Weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein guter Ganztag hat so viel Potenzial: gerechtere Bildungschancen, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt und eben mehr Gleichstellung. Er ist zu Recht ein Kernanliegen unserer Großen Koalition und zu Recht ein Herzensthema der SPD. 2 Milliarden Euro hatten wir dafür im Koalitionsvertrag vereinbart. Anderthalb Milliarden Euro packen wir jetzt im Rahmen des Konjunkturpakets noch obendrauf.

Wir wissen, dass die Zeit drängt. Deshalb sollen 750 Millionen Euro der zusätzlichen Mittel noch in diesem Jahr an die Länder gehen. Auch die Länder werden ihren Beitrag leisten müssen. Da blicke ich vor allem in die Reihen der Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen; denn es sind vor allem Ihre Bundesländer, in denen Sie die Regierung anführen oder daran beteiligt sind, die sich beim Rechtsanspruch eher ein bisschen querstellen und insbesondere beim Ganztagsausbau hinterherhinken. Ulrike Bahr hat es eben schon ausgeführt. Bitte bringen Sie Ihre Minister, insbesondere Ministerpräsident Kretschmann, endlich auf die richtige Spur!

Damit die Umsetzung des Rechtsanspruchs gelingt, brauchen wir alle: Bund, Länder, Kommunen und natürlich auch Schulleitungen und Lehrkräfte.

Wenn diese Strukturen erst einmal geschaffen sind, dann können wir als SPD es uns perspektivisch auch gut vorstellen, dieses Angebot auf die fünften und sechsten Klassen zu erweitern.

Herzlichen Dank!