Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die akademische Bildung ist nicht die einzig wahre. Jetzt wundern Sie sich vielleicht und denken: Wieso sagt genau die das? Ist die nicht Gymnasiallehrerin? – Ja, das bin ich, und genau deshalb sage ich, dass die akademische Bildung nicht das Nonplusultra ist.
Bis vor kurzem habe ich das noch meinen Schülerinnen und Schülern meiner integrierten Gesamtschule gesagt. Ich möchte nicht mehr erleben müssen, dass mir Jugendliche, die den Übertritt in die gymnasiale Oberstufe nicht schaffen, sagen, dass sie große Verlierer seien oder, noch viel schlimmer, dass sie sich sogar für dumm halten. Heute sage ich es hier am Rednerpult im Deutschen Bundestag. Warum? Im Koalitionsvertrag steht: Die berufliche Bildung ist für uns gleichwertig mit der akademischen. – Das müssen wir in die Köpfe von allen reinbekommen, in die Köpfe hier im Parlament und in die da draußen im ganzen Land. Um diese Gleichwertigkeit wieder hinzubekommen, müssen wir die berufliche Bildung unbedingt wieder attraktiver machen; das ist heute auch mehrfach schon angesprochen worden.
Viele Länder beneiden uns immer noch um unser Aus- und Weiterbildungssystem – zu Recht. Auf diesen Lorbeeren dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Wir müssen unser System zukunftsfest machen. Das bedeutet für mich unter anderem, dass wir einen Imagewechsel hinbekommen müssen. Keiner sollte mehr hören müssen: Wie, du machst nur eine Ausbildung? – Ich möchte weiß Gott niemanden von seinem Wunsch nach einem Studium abbringen oder gar zu einer Ausbildung überreden; es geht mir vielmehr darum, dass junge Menschen echte Wahlfreiheit haben, dass sie das machen können, für das sie sich begeistern, für das sie brennen und für das sie arbeiten wollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP))
Als Azubine oder Azubi ist man doch kein Loser. Eine Ausbildung ist nichts Schlechtes und bedeutet nicht den Verlust von Ansehen in unserer Gesellschaft. Von diesen Hirngespinsten müssen wir dringend wegkommen. Wir brauchen jede Einzelne und jeden Einzelnen, damit wir genug gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Land haben. Der aktuelle Berufsbildungsbericht zeigt es ganz deutlich: Immer weniger Betriebe bilden aus, und immer mehr Jugendliche sind ohne Ausbildung. – Diese Entwicklung müssen wir nicht nur aufhalten; nein, wir müssen sie umkehren.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, zur Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung gehört auch unbedingt dazu, dass wir sie fit zu machen haben für das Zeitalter der Digitalisierung. Ganz bewusst trägt diese Enquete-Kommission den Titel „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ und nicht nur „Berufliche Bildung“.
Digitalisierung – ja, dieses Wort ist omnipräsent. Der eine oder die andere mag jetzt denken: Ach nee, nicht schon wieder! – Ich gebe zu: Dieser Begriff ist tatsächlich überall, aber es ist doch nicht das Wort, das überall ist, sondern der Prozess. Die Digitalisierung ist doch schon längst da. Wir befinden uns mitten in ihr. Wir reden hier nicht über irgendetwas, das in der fernen Zukunft geschehen wird, sondern über das, was passiert, tagtäglich, und was es vor allem mitzugestalten gilt.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE))
In unseren Schulen und Betrieben muss sich etwas tun. Nur weil man jung ist und ständig ein Smartphone in der Hand hält, ist man nicht automatisch bereit für die digitale Arbeitswelt. Nur weil man seit vielen Jahren in der beruflichen Bildung aktiv ist, weiß man nicht automatisch alles am besten und ist auf dem neuesten Stand der Technik. Wir müssen alle, die man gern als „Digital Natives“ bezeichnet, mit den Fähigkeiten ausstatten, die sie brauchen, um im Beruf später bestehen zu können. Das gilt sowohl für diejenigen, die den Weg der beruflichen Bildung einschlagen, als auch für Akademikerinnen und Akademiker.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))
Und natürlich brauchen wir Weiterbildung, Weiterbildung, Weiterbildung. Nie war lebenslanges Lernen so wichtig wie heute.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir geben uns mit dem Antrag auf Einsetzung dieser Enquete-Kommission eine ganz klare Aufgabe, nämlich eine gemeinsame, klare Strategie zur Weiterentwicklung der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu formulieren. Ich persönlich freue mich darauf, mit 18 weiteren Abgeordneten aus diesem Hohen Hause und 19 Sachverständigen daran mitarbeiten zu dürfen.
Herzlichen Dank, und auf eine gute Zusammenarbeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))